Die Berufsunfähigkeitsversicherung

berufsunfaehigkeitsversicherung

I. Allgemeines

Die Berufsunfähigkeitsversicherung (kurz: BU-Versicherung), geregelt in §§ 172 ff. VVG, zählt als Personenversicherung zu den wichtigsten Versicherungen. Mit ihr sichern Sie den Einkommensverlust in bestimmtem Umfang ab. Die BU-Versicherung ist keine Schadensversicherung, sondern reine Summenversicherung. Daher kann die versprochene Leistung, die Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente, auch höher sein, als das tatsächlich erzielte Einkommen. Und weil sie einen Dauerzustand absichern soll, bietet sie auch ein enormes Streitpotenzial. Denn der Eintritt des Versicherungsfalls hat für den Versicherer die Zahlung der Rente bis zum Ende der Versicherungsdauer zur Folge. Hier können mitunter schnell sechs- oder siebenstellige Beträge auf den Versicherer zukommen. Wer wollte es ihm verübeln, dass er bei derartigen Summen ohne Weiteres den Versicherungsfall anerkennt? Hinzu kommt, dass sich der Versicherer von seiner einmal anerkannten Leistungspflicht nicht ohne Weiteres lösen kann. Denn er ist in der Beweislast, dass die Voraussetzungen der Berufsunfähigkeit nun nicht mehr vorliegen.
Die Berufsunfähigkeit kann als Unterversicherung zur Lebens- oder Rentenversicherung abgeschlossen werden und nennt sich dann Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (Kurz: BUZ) Für sie gelten keine anderen Regelungen.
Als Leistung ist neben der Rente häufig eine Beitragsbefreiung, ggf. auch nur eine Beitragsbefreiung, z.B. für den Hauptversicherungsvertrag, vereinbart.

II. Berufsunfähigkeit

Was Berufsunfähigkeit ist, wird in den jeweils geltenden Versicherungsbedingungen (unterschiedlich) geregelt. Einen gesetzlichen Hinweis gibt § 172 Abs. 2 VVG. Berufsunfähig ist, wer seinen zuletzt ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, infolge Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechendem Kräfteverfall ganz oder teilweise voraussichtlich auf Dauer nicht mehr ausüben kann, § 172 Abs. 2 VVG. Mitunter wird die Berufsunfähigkeit auch noch durch eine sog. abstrakte Verweisungsklausel ergänzend definiert, § 172 Abs. 3 VVG.

Für den Eintritt der Berufsunfähigkeit sind Sie als Versicherungsnehmer darlegungs- und beweisbelastet. Die Rechtsprechung verlangt substantiierte Ausführungen was in der Klage einen dreigeteilten Vortrag notwendig macht, der sich

  • in der Darstellung des Tätigkeitsbildes in gesunden Tagen,
  • in der Darstellung des Krankheitsbildes und
  • in der Darstellung, weshalb das Krankheitsbild der mindestens 50 %ige Ausübung der beruflichen Tätigkeit, wie sie sich in gesunden Tagen darstellte, entgegensteht, erschöpft.

Immer wieder scheitern Anträge an der ungenügenden Darstellung des Tätigkeitsbildes. Lücken werden einerseits durch den Antragsteller erzeugt, die durch den Versicherer geschlossen werden. Dass dies nicht immer richtig und damit zum Vorteil des Antragstellers erfolgt, liegt auf der Hand. Das OLG Saarbrücken hat in seiner Entscheidung vom 20.03.2013 – 5 U 379/11 hierzu folgendes ausgeführt.

„Zu fragen ist, wie sich die gesundheitlichen Beeinträchtigungen auf die Tätigkeit im Einzelnen auswirken. Das orientiert sich an einer – vom Anspruchsteller darzulegenden und zu beweisenden – konkreten Arbeitsbeschreibung, aus der sich die anfallenden Tätigkeiten nach Art, Umfang und Häufigkeit nachvollziehen lassen.“ (zitiert nach juris.de)

Das Merkmal „auf Dauer“ gilt nach vielen Bedingungen als erfüllt, wenn die versicherte Person mindestens 6 Monate ununterbrochen ärztlich krankgeschrieben war und in dieser Zeit auch keine Tätigkeit ausgeübt hat.

Sollte Ihr Vertrag eine abstrakte Verweisungsklausel enthalten wird die oben genannte Definition der Berufsunfähigkeit mit folgendem beispielhaften Wortlaut ergänzt:

[…] nicht mehr ausüben kann, und auch keine andere Tätigkeit ausübt oder ausüben kann, die zu übernehmen sie auf Grund ihrer Ausbildung und Fähigkeiten in der Lage ist und die ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht“, vgl. § 172 Abs. 3 VVG.

Was mit Ausbildung und Fähigkeiten gemeint ist, sollte klar sein. Streitpunkt ist immer wieder die Frage, ob denn die Verweisungstätigkeit auch der bisherigen Lebensstellung entspricht. Mit dieser Formulierung wird auf die soziale Stellung der versicherten Person, auf ihr berufliches Ansehen aber auch auf die aus der bisherigen beruflichen Tätigkeit resultierenden Freiheiten und Sicherheiten abgestellt.

So wird man einen Steuerberater, der in seinem Beruf berufsunfähig ist, nicht auf die Tätigkeit des Pförtners verweisen können. Streit besteht auch, ob man einen Selbständigen in ein Abhängigkeitsverhältnis verweisen kann, was nur im Ausnahmefall möglich ist. Allerdings zeigt diese Klausel, dass hier konkreter Vortrag notwendig ist, um sich seiner Versicherungsleistung sicher zu sein.

Bei Selbständigen muss darüber hinaus auch eine Umorganisation des bisherigen Tätigkeitsbildes in Erwägung gezogen werden. Nur wenn diese nicht möglich ist oder trotz der Umorganisation eine mindestens 50 %ige Berufsunfähigkeit besteht, ist der Versicherungsfall eingetreten. Auch hier ist dem Vortrag vor dem Hintergrund der Anforderungen der Rechtsprechung Rechnung zu tragen.

III. Entscheidung des Versicherers

Die Ausführungen zur Berufsunfähigkeit zeigen, dass die anwaltliche Beauftragung so früh wie möglich erfolgen sollte. Denn Fehler in der Antragstellung lassen sich nur schwer oder gar nicht korrigieren.

Wie und Wann der Versicherer über den Leistungsantrag entscheidet, ist in den Bedingungen geregelt. Hier kann der Versicherer beispielhaft regeln, dass er nach Prüfung der eingereichten sowie der von ihm beigezogenen Unterlagen in Textform erklärt, ob und in welchem Umfang er eine Leistungspflicht anerkennt. Zudem kann er auch geregelt haben, dass er einmalig ein zeitlich begrenztes Anerkenntnis unter einstweiliger Zurückstellung der Frage aussprechen kann, ob die versicherte Person eine andere Tätigkeit nach Ausbildung und Erfahrung, die auch ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht, ausüben kann.

Ergänzend findet sich in § 173 Abs. 1 VVG eine Regelung zum Anerkenntnis und in Abs. 2 zum befristeten Anerkenntnis.

Unspektakulär sind Fälle, in denen der Versicherer quasi ohne Wenn und Aber seine Leistungspflicht anerkennt. Was aber, wenn der Versicherer

  • ein befristetes Anerkenntnis,
  • ein Anerkenntnis nur für die Vergangenheit,
  • ein fingiertes Anerkenntnis,
  • eine Kulanzentscheidung oder

mit dem Versicherungsnehmer trifft.

1. Befristetes Anerkenntnis/Anerkenntnis für die Vergangenheit

Eines vorweg: Findet sich in den Bedingungen keine Regelung zum befristeten Anerkenntnis, kann der Versicherer eine solche einseitige befristete Leistungserklärung nicht abgeben.

LG Berlin, Urt. v. 19.03.14 – 23 O 87/12 (zitiert nach juris.de)

„§ 173 Abs. 2 VVG schafft kein vom Vertrag unabhängig bestehendes selbständiges Befristungsrecht des Versicherers. Die Vorschrift gilt nur für diejenigen Verträge, deren Bedingungen eine Befristung des Anerkenntnisses schon geregelt haben.“

Ist dagegen nach den Bedingungen eine Befristung möglich, kann sie nur für die Zukunft, nicht aber für die Vergangenheit erklärt werden. Auch hierzu das LG Berlin aaO: „§ 173 Abs. 2 VVG erfasst nur Befristungen, die sich in die Zukunft erstrecken, nicht aber auch in der Vergangenheit abgeschlossene Zeiträume.“

2. (unzulässiges) Fingiertes Anerkenntnis

Von einem fingierten Anerkenntnis spricht man, wenn der Versicherer die Befristung unzulässig ausgesprochen hat, z.B. weil er dies nach den Bedingungen gar nicht konnte oder aber nicht in der Form.

Beispiel nach LG Dortmund, Urt. v. 04.12.2014 – 2 O 124/14:

Die Regelung in den Bedingungen zur Anerkennung der Leistungspflicht sahen ein „zeitlich begrenztes Anerkenntnis unter einstweiliger Zurückstellung der Frage, ob die versicherte Person eine andere Tätigkeit im Sinne von § 2 Abs. 1 [Anmerkung Verfasser: Verweisungstätigkeit] ausüben kann, vor.“

Die Leistungsentscheidung vom 08.08.2011 lautete auszugsweise: „[…] nach inzwischen durchgeführter Prüfung erkennen wir unsere Leistungspflicht aufgrund der Berufsunfähigkeit ab dem 01.08.2010 bis einschließlich 31.03.2011 an.[…]

Neben der bereits angesprochenen Unzulässigkeit wegen rückwirkendem Anerkenntnis war die Befristung auch nach den Bedingungen selbst unwirksam. Denn diese konnte nur „unter einstweiliger Zurückstellung der Frage, ob die versicherte Person eine andere Tätigkeit im Sinne von § 2 Abs. 1 ausüben kann“ erklärt werden.

In diesem Zusammenhang klärte das Gericht auch, ob die Klausel selbst vor dem Hintergrund des § 173 Abs. 2 VVG wirksam ist und bejahte dies, weil sie nur für den Fall des Vorbehalts der Verweisung eine Befristung zulässt und damit zum Vorteil von § 173 Abs. 2 VVG abweicht.

3. Kulanzentscheidungen

Der Duden definiert „Kulanz“ als Entgegenkommen, Gefälligkeit, Großzügigkeit oder auch Kompromissbereitschaft. Im Allgemeinen wird der Empfänger einer „Kulanzleistung“ eine Leistung verstehen, zu die der Leistende nicht verpflichtet ist, der Empfänger sie auch unter rechtlichen Voraussetzungen nicht einfordern kann, sie gleichwohl aber erbracht wird. In der Praxis werden diese Kulanzleistungen daher mit „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“ angekündigt.

4. Folgen unwirksamer befristeter oder fingierter Anerkenntnisse/ Folgen von Kulanzentscheidungen

Leider bedeutet ein unwirksam befristetes Anerkenntnis nicht automatisch, dass der Versicherungsnehmer dann unbegrenzt, längstens bis zum Ende der Versicherungsdauer, Leistung beanspruchen kann. Vielmehr ist der Versicherer nun gehalten, ein Nachprüfungsverfahren anzustrengen mit der Folge, dass er den Wegfall der Berufsunfähigkeit beweisen muss. Gelingt ihm dieser Nachweis, muss er – auch in einem Prozess – die Gründe für den Wegfall der Berufsunfähigkeit in Textform dem Versicherungsnehmer mitteilen, vgl. OLG Karlsruhe, Urt. v. 30.09.2014 – 12 U 204/14 (zitiert nach juris.de). Nicht ausreichend ist dabei, dass der Versicherer im Prozess auf ein Sachverständigengutachten verweist, vgl. OLG Karlsruhe, Urt. v. 16.04.2013 – 12 U 191/12 (zitiert nach juris.de) Nur wenn ihm dies gelingt und er auch die formellen Voraussetzungen erfüllt, ist er zur Leistungseinstellung frühestens mit dem Ablauf des dritten Monats ab Zugang der Veränderungsmitteilung berechtigt.

Hiermit vergleichbar sind die Folgen der Kulanzentscheidung. „Teilt die Versicherung dem Versicherungsnehmer mit, um eine bei genauer Anwendung der Versicherungsbedingungen entstehenden Härte zu vermeiden, habe man sich entschlossen, ihm – ohne Anerkennung einer Rechtspflicht – „die Leistungen aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung zu vergüten“, ist diese Erklärung als Anerkenntnis der Leistungspflicht gemäß § 5 BUZ zu verstehen. Trotz des Hinweises „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“ darf der Versicherungsnehmer die Erklärung so verstehen, dass die Versicherung ihm trotz Bedenken hinsichtlich des vollständigen Vorliegens der Leistungsvoraussetzungen kulanterweise ein Anerkenntnis bedingungsgemäßer Leistungserbringung erteilt. Ein solches aus Kulanz abgegebenes Leistungsanerkenntnis kann nicht zurückgefordert werden, nur weil der Anerkennende sich später anders besinnt oder sich außerhalb der ihm auch bei einem Anerkenntnis vertraglich offen stehenden Möglichkeit zur Leistungseinstellung ohne Einhaltung von deren Voraussetzungen von seiner Leistungspflicht lösen möchte. Auch wenn man die Erklärung im Sinne einer für die Zukunft frei rücknehmbaren Leistungszusage verstehen würde, müsste sich die Versicherung nach den Grundsätzen zum fingierten Anerkenntnis so behandeln lassen, als hätte sie die sachlich gebotene unbedingte Leistungszusage erteilt, sofern sie nach der Sachlage verpflichtet war, ein Leistungsanerkenntnis nach § 5 BUZ zu erklären. Auch in diesem Fall könnte sich die Versicherung nur durch ein ordnungsgemäßes Nachprüfungsverfahren nach § 7 BUZ von ihrer Leistungspflicht lösen“, vgl. OLG Karlsruhe, Urt. v. 21.07.2011 – 12 U 55/11 (zitiert nach juris.de).

Damit wird offenkundig, dass unwirksam befristete oder fingierte Anerkenntnisse und Kulanzentscheidungen immer ein Nachprüfungsverfahren nach sich ziehen. Ohne dieses wird es dem Versicherer nicht gelingen, sich von seiner Leistungspflicht zu lösen.